Mittwoch, 19. September 2012

Portrait einer streng dreinblickenden Dame

Dieses Bild gehört der solebich.de Userin stanzi68. Ich habe vom ersten Augenblick an gewusst, dass die Geschichte dazu etwas besonderes werden würde und das wurde sie. Ich will auf keinen Fall anmaßend klingen, aber diese Story hat mich selbst wirklich berührt. Hoffentlich gefällt sie euch genauso gut wie mir.


Johann war nie besonders reich gewesen. Er hielt sich mit seiner Kunst so gerade eben über Wasser, aber er konnte sich auch nicht vorstellen, etwas anderes zu machen. Manchmal saß Johann auf einer Bank im Park und kritzelte in sein Skizzenbuch. Er blieb immer so lange wie möglich, um möglichst wenig Zeit in seiner kleinen, ungemütlichen Wohnung verbringen zu müssen.

Es war ein milder Herbsttag, als Johann die Dame zum ersten Mal sah. Sie saß auf der Bank am Teich, warf ab und den Enten ein paar Brotkrumen zu und blickte ansonsten nur sehr streng drein. Johann wusste nicht warum, aber er musste den Ausdruck im Gesicht der Frau festhalten. Er begann ihr Profil zu skizzieren und fragte sich die ganze Zeit was wohl hinter ihrer Fassade steckte. Als es zu dämmern begann, machte die Dame sich auf den Weg und auch Johann ging ausnahmsweise gerne in seine Wohnung, er wollte unbedingt dieses Portrait malen. Natürlich wurde er an diesem Abend nicht fertig, aber er setzte seine Arbeit Tag für Tag fort, nachdem er im Park gesessen und die Dame immer wieder skizziert hatte.

Nach einiger Zeit wurde das Portrait dann doch fertig und er hatte es geschafft genau das einzufangen, was er erhofft hatte. Jeder, der dieses Portrait betrachten würde, würde sich die Frage stellen, was diese Dame wohl bewegte. Er schrieb eine Widmung hinten auf das Bild 'Für die streng dreinblickende Dame. Ich hoffe ich werde Sie eines Tages lächeln sehen, Johann Dahl'. Dann nahm er das Bild und ging in den Park.

Die Dame saß wieder an ihrem gewohnten Platz und fütterte die Enten. Johann näherte sich ihr schüchtern und überreichte ihr sein Geschenk. Sie nahm es misstrauisch entgegen, begutachtete es und tat dann etwas, womit Johann nicht gerechnet hatte, sie lächelte ihn an und dankte ihm von ganzem Herzen. Sie ging sofort nach Hause, um das Bild zu rahmen und im einen geeigneten Platz zu geben. In den nächsten Tagen trafen sich die beiden noch einige Male im Park, redeten über das Wetter und die Kunst, nichts Verfängliches. Eines Tages kam die Dame dann nicht mehr, wenige Tage darauf aber jemand anderes, ein dicker Mann mit Krawatte setzte sich neben ihn und fragte ihn, ob er Johann Dahl sei.

Der Mann war der Anwalt der Dame. er erklärte ihm, dass sie leider nach langer Krankheit verstorben war, und dass es sein Name war, der als einziges in ihrem Testament stand. Sie hatte keine Angehörigen und scheinbar auch keine Freunde gehabt und erwähnte in ihrem Testament, dass es das Schönste für sie gewesen wäre, ihre letzten Tage mit Johann im Park zu verbringen. Nun würde er, Johann, den ganzen Reichtum der Dame erben, und das war eine Menge Geld, darüber würde er sich nie wieder Sorgen machen müssen. Zurück in seiner Wohnung weinte Johann bitterlich und begann an einem weiteren Portrait zu malen. Diesmal lächelte die Dame. Seitdem hing er das Bild immer an einen Ort, an dem er es sehen konnte, um niemals zu vergessen, was er ihr verdankte.

2 Kommentare:

  1. Ich möchte dir auch an dieser Stelle nochmal ganz herzlichen Dank für deine wundervolle Geschichten sagen.
    Sie ist toll, toll, toll !

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  2. Sehr gern geschehen liebe Constanze, es ist mir immer wieder eine Freude :-*

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